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Reiseziel Bukarest


Reiseziel Bukarest


Nervös und beinahe schon schlaftrunken fuhr Inka durch die immer unbekannter werdende Gegend.

Nacht umhüllte sie und spärlicher werdende Lichter.

Irgendwann musste doch diese verdammte Umleitung zu Ende sein und sie würde dann hoffentlich den richtigen Weg nach Hause einschlagen.

Der Regen wurde nun heftiger, sie konnte doch nicht die ganze Nacht durchfahren, sie wollte endlich nach Hause.

Inka hätte auf ihre Freundin hören und bei ihr in Berlin übernachten sollen. Aber nein, sie wollte morgen am Sonntag mit Werner aufwachen, sich von ihm verwöhnen lassen. Fünf Jahre sind sie morgen zusammen. Na, sie war schon gespannt ob er an einen Blumenstrauß dachte und vielleicht den Frühstückstisch decken würde. Im Moment aber sah es nicht so aus als ob sie jemals wieder zurück nach Hause kommen sollte.

Ein Haus neben dieser Landstraße wies ihr ein mattes Licht. Ja, sie sollte dort Rast machen, es schien ein Gasthaus zu sein. Erschöpft parkte sie den Wagen, griff nach ihrer Tasche und rannte zum Eingang. Trotz der nur fünfzig Meter vom Auto bis zum Eingang, trat sie völlig durchnässt ein. Fröstelnd setzte sie sich auf eine Eckbank.

In der Nähe wurde der Kamin gerade geheizt auch der Kellner war sofort zur Stelle.

Womit kann ich dienen zu dieser späten Stunde, fragte er? Verblüfft sah Inka auf ihre Uhr. Es war wirklich spät, es war bereits dreiundzwanzig Uhr.

Sie erzählte von ihrem Missgeschick. Sie haben Glück meine Dame, dies ist hier eine ‚Rundumdieuhrbar’ und bald kommen Gäste, die werden sie in eine muntere Stimmung versetzen.

Inka bestellte sich einen Kaffe und ein Käsebrot.  Zerknirscht sah sie in den Spiegel, der sich über die gesamte Wand vor ihr erstreckte. Furchtbar sah sie wirklich aus, das Haar immer noch nass und strähnig vom Regen, blass und fahl ihr Gesicht, übermüdet, Augenringe. Aber komischerweise sah sie überhaupt nicht das Rückenprofil des Kellners. Wie war das möglich? Sie konnte sich, sowie sämtliches Mobiliar im Spiegel sehen. Der Kellner war überhaupt nicht im Spiegel zu erkennen. Sicher war sie total überreizt.

Der Kaffe tat ihr gut und der Kellner setzte sich neben sie. Bald konnte Inka feststellen, dass er der Inhaber des Gasthofs war. Sie plauderten gemütlich und der Inhaber des Gasthofs, ein gewisser Graf Dracuwitsch, bot ihr an,

hier zu übernachten, er habe für den Notfall immer ein Zimmer zur Verfügung.

Nein , dass wollte sie nicht. Erst mal musste sie ihr Handy suchen und mit Werner telefonieren. Gut, sagte er, ich habe zu tun, wenn sie einen Wunsch haben rufen sie mich.

Dass war klar, keine Verbindung. Werner schnarchte sicher schon und machte sich nicht einmal Sorgen.

Hm, vielleicht sollte man alle fünf Jahre den Partner wechseln, sonst wird’s langweilig. Was blieb auch? Alltag, Fußball, Fernsehen, nichts aufregendes dazwischen.

Ihre Freundin hatte recht, sie müsste auch ein bisschen Schwung mit in diese Beziehung bringen. Vielleicht sollte sie Werner die Pistole auf die Brust setzen und ihn bitten, doch zusammen zu ziehen. Knauserig war er schon immer. Eventuell konnte sie ihn damit locken, dass sie dann eine gemeinsame Wohnung bewirtschaften würden und eine Miete sparen könnten.

Ihr Blick fiel auf den Zeitungsstoß, der zu ihrer Linken lag. Reisejournale, Modejournale. Sie zog ein Reisejournal aus dem Stapel, dort war zu lesen ‚Herzlich willkommen in Bukarest’.

Inka vertiefte sich in ihre Lektüre. Rumänien wurde geschildert als armes Land das durch den  Tourismus zu blühen beginnt. Die Reise sei billig, sogar im Viersternehotel. Das war sehr verlockend, doch sicherlich würde Werner mit ihr nicht nach Bukarest reisen . Siebenbürgen wäre ja auch mal schön, Transsilvanien, die Karpaten. Nein, Werner würde wie immer nach Spanien wollen, er nannte dies Demokratie für die er neunundachtzig gekämpft hatte. Eigentlich ist er überhaupt nicht ihr Typ, hat sich angepasst, einen dicken Bauch bekommen. Na ja, die Schlankste war sie auch nicht, aber immerhin, sie bemüht sich täglich.

Zu ihrer Rechten hatte ein junges Paar Platz genommen. Ununterbrochen musterte sie der junge Mann. Nun reichte es ihr aber. Energisch sagte sie, ich weiß gar nicht, warum sie mich immer so ansehen? Sie sind doch mit einer bezaubernden jungen Dame hier.

Er lächelte und sagte nichts. Die junge Frau kicherte ein bisschen und trank ihren Blutorangensaft.  

Kein Alkohol, fragte Inka?  Nein, niemals. Aussserdem bin ich auf dem Vegetariertrip, sagte die junge Dame, die sich nun als Sylvia vorstellte. Sie sah wunderschön aus. Nur ihre Augen schienen leer zu sein. Komischer Weise, wenn Inka in den Spiegel vor sich starrte, sah sie auch diese beiden nicht. Was war das bloß? Wo war sie, träumte sie? Plötzlich verspürte Inka auf ihrem Unterarm einen Schmerz. Sylvia hatte sie mit ihrem spitzen Fingernagel geritzt. Oh, Verzeihung, sagte Sylvia, eine Fliege, ich wollte sie totschlagen.

Eine Fliege? Ich habe gar keine bemerkt, entgegnete Inka. Doch, doch, erwiderte Sylvia.

Ah es blutet und Sylvia wischte mit ihrem Finger den Blutstropfen von Inkas Unterarm. Genüsslich leckte sie ihn von ihrem Finger ab und seufzte entspannt.

Sind sie verrückt, schrie Inka, das ist ja Widerwärtig, verschwinden sie!

Schwierigkeiten? Graf Drakowitsch schaltete sich ein.

Ja, die beiden sind ein bisschen unverschämt geworden. Ein Augenblinkern zu den beiden und sie waren verschwunden. Graf Drakuwitsch nahm nun neben Inka Platz und mit einemmal fragte ihn Inka warum sie im Spiegel nur sich selbst sehe und nicht ihn oder die anderen Gäste denn wenn sie in den Raum sah war er voller junger Menschen.  

Graf Drakuwitsch sagte, sie sind hier bei Vampiren, dass ist nun mal bei uns so.

Bei Vampiren, sie spinnen, prustete es aus Inka heraus. Sie konnte sich kaum noch beherrschen vor lachen. In einer Minute ist Geisterstunde. Was passiert dann, beißen sie mich dann? Nein. Wie gesagt, wir sind hier alle auf dem Vegetariertrip. Wir haben uns geschworen nur noch Blutorangensaft zu trinken und es gibt andere Köstlichkeiten die wir Vampire in der Moderne bevorzugen, nur Einige von uns beißen noch.

Wissen sie, meine Freundin ist Journalistin, vielleicht sollte ich sie miteinander bekannt machen. Es wäre sicherlich ein Spaß darüber eine Story zu schreiben. Ja ja, so ein oberflächliches Wort... Story.

Meine liebe, haben sie denn schon Kontakt zu ihrem Werner bekommen?

Nein, der schläft sicher wie ein Murmeltier. Es ist ein träger, langweiliger Mann, vielleicht sollte der mal gebissen werden um wieder zu sich zu kommen. Außerdem, mein lieber Graf, habe ich gehört, dass man Vampire hereinbitten muss in eine Räumlichkeit. Also, sie können nicht von selber kommen. Nur wenn sie gerufen werden

können sie die Räume betreten. Und noch etwas, sie schlafen in Särgen und kommen in Särgen an. Oder haben sie vor ihrer Haustür statt Autos Särge stehen?

Wunderbar Liebste, sie haben die alten Klassiker drauf aber auch wir Vampire leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wissen sie, wir brauchen heute nicht mehr hereingerufen zu werden. Man kann uns über jeden Katalogversand bestellen, denn Särge benutzen wir schon lange nicht mehr. Wir kommen jetzt im Staubsauger. Die neuesten Modelle heißen ja sogar „Vampir“. Sie können sie in Raten kaufen, verschiedene Wattstufen, je nach unserem Titel und Rang. Zum Beispiel Straßenfegervampire bewohnen Staubsauger mit niedrigster Wattstufe und wir kommen auch im vierundzwanzig Stunden Service. Sie können uns auch im Fachhandel kaufen, es ist uns immer eine Ehre. Der Staubsauger ist flott und geräumig und durch den Beutel weich gepolstert. Bei Inbetriebnahme gibt es einen wunderbaren Energiestoß.

Jetzt lachte Inka aus vollem Hals. Danke, durch ihre Geschichte bin ich wieder richtig wach, ich glaube nun kann ich nachhause fahren.  

Sie werden den Weg nicht finden, sie werden im Kreis fahren, meine Liebe. Es ist Geisterstunde, warten sie bis zwei Uhr, dann ist der Spuk vorbei und sie werden sicher nach Hause gelangen und merken, alle Umleitungen sind beseitigt worden.

Woher wissen sie das so genau Graf.

Meine liebste Inka, denken sie denn es wäre Zufall, dass sie hier sitzen?  Ich muss ein bisschen Werbung für mein Land machen. Auch Rumänien braucht Euros. Bei uns gibt es noch mehr arme Schlucker als in Deutschland.

Der Tourismus soll boomen, es ist ein wunderschönes Land. Also bitte, nehmen sie die Zeitung mit, ich werde sie herzlich auf meinem Schloss in Transsylvanien willkommen heißen.

Graf, im Gegensatz zu Werner, sind sie so ein richtig verruchter Mann, so wie Frau sich ihn wünscht. Irgend etwas in mir warnt mich. Sie wollen wirklich Werner und mich auf ihrem Schloss begrüßen? Dass glaube ich ihnen nicht.



Schatz, steh endlich auf, es ist bereits elf Uhr. Inka aufstehen, der Kaffe ist fertig. Blumen, ich habe an Blumen gedacht Inka. Rote Rosen, fünf rote Rosen Inka. Fünf blutrote Rosen.

Werner, du? Ich war doch eben noch in einem Gasthof bei Königs Wusterhausen.

Kann schon sein. Aber ich habe dich gegen fünf Uhr aus dem Auto gezerrt. Völlig übermüdet bist du hier angekommen und dann wahrscheinlich mit dem Kopf auf die Hupe aufgeschlagen. Dieser Lärm war nicht auszuhalten. Ich bin runter und sah dich, hab dich aus dem Auto ins Bett gebracht. Sieh dich doch an, du hast doch gar kein Nachtzeug an, bist ja immer noch in deinen Klamotten. Nun komm, mach dich ein wenig frisch, der Kaffe ist fertig. Also, so zu sagen, alles Gute zum fünften Hochzeitstag.

Hm, dass du das nicht vergessen hast?

Nein, ich kann ja auch mal an was denken.

Du hast ja wirklich Rosen besorgt. Am Sonntag Rosen Werner, ich bin sprachlos.

Da ist noch etwas, in dem Umschlag.

Was ist das? Neugierig öffnete nun Inka den Umschlag der vor ihr lag. Es war eine Reise nach Rumänien, nach Bukarest. Komisch, murmelte Inka. Heute Nacht, in der Gaststätte in der ich war, lag genau so ein Informationsblatt, das zu einer Reise nach Bukarest einlud. Und nun hast du hier eine richtige Reise schon gebucht? Aber eine Zugfahrt, warum Fliegen wir nicht Werner?

Ich wusste, dass man es dir wirklich nicht recht machen kann. Du weißt doch selber, dass ich im Moment nicht so viel Kohle hab und deshalb fahren wir mit dem Zug. Außerdem kann so eine Zugfahrt sehr erotisch verlaufen.

Entschuldige. Das erste mal, dass du in fünf Jahren etwas auf die Beine stellst und ich meckere gleich. Dein Kaffe schmeckt übrigens sehr gut.  Wie sprechen die überhaupt in Rumänien?

Na wie schon, rumänisch. Kannst du davon was und welche Währung haben die? Haben die auch schon den Euro? Ach Kindchen, sicher nicht, lies dir das alles durch. Ein Teil der Bevölkerung spricht, glaube ich, auch französisch. Jedenfalls kommt man damit auch ganz gut durch. Und einige werden ja wohl englisch können.

Werner? Können Vampire eigentlich alle Sprachen der Welt sprechen?

Wie bitte, was soll denn dass?

Nur so. ich war heute Nacht in einem Gasthof unter Vampiren.

Unter Vampiren? Haben sie dich gebissen?

Nein. 

Na und ich mein Liebchen, war mit Elvis Presley auf einer Cocktailparty! Entschuldige! Ach so, du meinst in Königs Wusterhausen diesen Gasthof von diesem Grafen Drakuwitsch. Also weißt du, dass ist alles Quatsch. Es gibt keine Vampire, wer hat dir diesen Mist erzählt?

Werner, dieser Graf Drakuwitsch selbst, ein prima Kerl, sogar eingeladen hat er uns.Es wird ja in der Presse zelebriert, er sorgt dafür, dass es den armen Leuten in Rumänien besser geht. Sammelt Waschmaschinen, Küchenherde, Klamotten und so weiter. Und stell dir vor, er hat das ganze Blutspendesystem für Rumänien aufgestellt. Ist das nicht enorm, was dieser Mann alles von Deutschland aus für seine Landsleute leistet?

Das Blutspendesystem für Rumänien hat er aufgebaut? Was soll denn das bedeuten Inka? Nun komm, trink noch einen Kaffe, lass uns heute nicht mehr über Vampire reden. Lass uns uns auf unsere Reise freuen, in ein paar Tagen geht es los. Du wirst eine neue Inka sein, wenn du zurück kommst.


*


Inka, Liebes, ich kann mit dir zusammen nicht verreisen, ich habe noch einen Auftrag zu erledigen. Fahr du bitte wie gebucht ab, ich komme zwei Tage später nach.

Na das wird ja teuer werden. Was sagst du der Bahn, geht das so einfach?

Ich habe es schon kostengünstig geregelt. Und mach bitte kein Theater, in zwei Tagen treffen wir uns in Bukarest. Nun hatte Inka schon gar keine Lust mehr in den Zug zu steigen. Was wird das für ein Urlaub werden? 

Der fängt ja gut an. Werner nicht da und sie allein in diesem fremden Land. Ein bisschen unheimlich war ihr schon zumute. Während der Zugfahrt jedoch, entspannte sich Inka. Sie lernte eine nette ältere Dame kennen und beide tauschten ihre Biografien aus. Den Rest der Reise verschlief sie.

Endlich war sie am Reiseziel. Es war schon spät, etwa zweiundzwanzig Uhr, als sie in Bukarest auf dem Bahnhof stand.

Es hatte angefangen leicht zu schneien. Sie sah sich nach einem Taxi um. Pech, das Letzte schien soeben davongefahren zu sein. Nun stand sie da im Strom von Menschen, kein Wort von der Sprache verstehend, verstört, ohne Werner, mit einem riesengroßen Koffer. Sie hätte schreien können.

Doch sie hatte Glück. Zehn Meter von ihr entfernt hielt ein Lieferwagen. Sie kramte aus ihrer Handtasche den Reiseprospekt vor, auf dem der Name des Hotels stand und setzte sich in Bewegung. Als sie ans Fenster des Fahrerhauses klopfte, zuckte sie zusammen.

Werner, du?

Siehst du Liebes, nun brauchst du nicht mal eine andere Sprache und steck den Prospekt ein, ich weiß wo wir hin müssen. 

Was machst du hier mit diesem Lieferwagen? Wozu ein Lieferwagen? 

Steig doch erst einmal ein. Komm, ich nehme den Koffer. Setz dich, wie war die Zugfahrt?

Sehr interessant, sehr interessant.

Nun erzähl mir schon was du dort geladen hast? Was soll das alles? Warum bist du mit einem Lieferwagen nach Rumänien gefahren und ich musste mit dem Zug fahren? Wir hätten doch zusammen mit diesem Auto fahren können. 

Aber Inka. Das wäre doch ein bisschen unbequem geworden. Oder?

Was hast du geladen? Was ist das?

Werner sah Inka an, musterte sie ab, lächelte.

Staubsauger, Typ Vampir! Tausendfünfhundert Watt Höchstleistung!